Seit April 2014 hat der TV Hegensberg eine Radsportabteilung. Bis heute konnte der Esslinger Verein dadurch mehr als 170 neue Mitglieder gewinnen. Entstanden ist die Abteilung, weil der TVH bereit war, einer Gruppe von Mountainbikern, die bislang nicht in einem Verein organisiert war, eine neue Heimat zu geben. Die Idee zur Radsportabteilung kam den Mountainbikern als die Stadt Esslingen 2014 ihre selbst gebaute, allerdings illegale, Strecke – die Esslinger Nordschleife, kurz EsNos - in einem Wald bei Esslingen renaturiert hat. Damit war die Sportstätte weg, der Schock bei den Sportlern saß tief. Doch schnell war klar: eine neue Strecke muss her. Dieses Mal legal und mit einem starken Partner im Rücken – dem TV Hegensberg. Mittlerweile ist die neue Strecke seit 2017 in Betrieb. Im Interview erzählt Abteilungsleiter Joe Reiser von der Erfolgsgeschichte der Radsportabteilung und wie Mountainbiker und Verein gegenseitig voneinander profitieren.
Joe, wie waren eure Gefühle als ihr 2014 vor vollendete Tatsachen gestellt wurdet? Als die Stadt eure Mountainbike-Strecke platt gemacht hat?
Natürlich saßen Schock und Ärger über die offizielle Zerstörung der Strecke tief. Gleichzeitig war uns aber klar, dass wir jetzt etwas Grundsätzlich verändern müssen. Damit niemand mehr ohne triftigen Grund unseren Sportstätte zerstören darf und unsere ganze Bauleistung hinfällig macht.
Es war also schnell klar, dass eine legale Strecke her muss. Wie kam es zu der Entscheidung, euch dafür einem Verein anzuschließen?
Wir wussten, dass wir einen starken Partner im Hintergrund brauchen. Sonst besteht die Gefahr, dass man bei den Verhandlungen zur legalen Strecke nicht ernst genommen und weggelächelt wird. Innerhalb kürzester Zeit rief STB-Präsident Wolfgang Drexler nach unserer Anfrage zum runden Tisch mit der Stadt und wir konnten dabei die Abteilungsgründung bekannt geben. Somit wussten wir dass man uns nicht nur zuhören sondern auch ernst nehmen wird.
Warum der TV Hegensberg?
Zuerst mal war es eine räumliche Frage - die Sportstätten des TVH befinden sich auf der gleichen Bergseite wie unsere Strecke. Außerdem war der TVH der erste Verein, der unsere Idee einer legalen MTB-Strecke begrüßt hat. Der Vereinsvorstand Hermann Beck sicherte uns von Anfang an seine Unterstützung zu und hat sein Wort stets gehalten. Der Verein hat eine starke Reputation und - mittlerweile auch dank unserer Unterstützung - die meisten Mitglieder in Esslingen (Anm. d. Red.: rund 1500).
In Esslingen-Berkheim wurde in Kooperation mit dem TSV Berkheim ein Bikepark gebaut. War das ein Vorbild für euch?
Dass es möglich ist, modernes Mountainbiken mit einem klassischen Sportverein zu verbinden, hat der TSV Berkheim gezeigt. Wir waren beim Entstehungsprozess der neuen EsNos in gutem Austausch mit den Berkheimern und haben wertvolle Tipps bekommen.
Welche Vorteile hat die Vereinszugehörigkeit für euch?
Es gibt ein Sekretariat für generelle Anfragen und den Verwaltungsaufwand. Die Haftung wird auf breiten Schultern verteilt und die Mitgliederverwaltung erleichtert.
"Man versteht uns als Teil des Vereins."
Wie war die Reaktion vonseiten des Vereins? Wurdet ihr mit offenen Armen empfangen?
Wir wurden 2014 herzlich aufgenommen und fühlen uns im Verein immer noch wohl. Es gibt ein großes Verständnis für die Eigenheiten unserer Sportart und man versteht uns trotzdem als Teil des Vereins. Das gibt uns ein gutes Gefühl.
Die Mitglieder des TV Hegensberg haben letztlich über eure Aufnahme abgestimmt. Wie waren deren Reaktionen?
Es gab natürlich einige kritische Fragen, die wir bei der Hauptversammlung aber klären konnten. Bei der Abstimmung gab es dann die volle Unterstützung der anderen Abteilungen und seit dem 1. April 2014 sind wir die Radsportabteilung des TV Hegensberg.
Wie viele neue Mitglieder habt ihr mitgebracht? Wie viele sind es mittlerweile?
Gestartet sind wir mit 30 Gründungsmitgliedern. Mittlerweile sind wir 170 Mitglieder in der Abteilung, die sich ziemlich konstant über die Jahre halten.
Wie war die Unterstützung vonseiten des Hauptvereins beim Bau der neuen, legalen EsNos?
Wir haben unser Vorhaben eng mit dem Vereinsvorstand abgestimmt, vor allem was die Finanzen anging. Bei Entwurf und Bau hatten wir im Rahmen der Genehmigung freie Hand.
Wie hat die Stadt Esslingen auf eure Pläne reagiert? Wären diese ohne Vereinszugehörigkeit umsetzbar gewesen?
Die Stadt war bei diesem Pilotprojekt natürlich auch recht unerfahren und hat von Anfang an einen sicheren Ansprechpartner gefordert. Nach der Abteilungsgründung und den ersten Gesprächen hatte man uns Unterstützung zugesichert. Vor allem das Grünflächenamt unterstützte konstruktiv die Suche nach einem geeigneten Gelände.
Wie lange hat der Bau der neuen Strecke gedauert?
Von Beginn der Planung bis zur Streckenfindung dauerte es nur vier Monate. Die nötigen Verfahren zur Baufreigabe/Genehmigung haben allerdings zwei Jahre gedauert. Für ein offizielles Genehmigungsverfahren ist das vielleicht relativ kurz, ein junger Mountainbiker kann das allerdings schlecht nachvollziehen. Für den reinen Streckenbau benötigten wir dann noch etwa neun Monate (30 Bautage).
Wie hoch waren die Kosten und wer hat es bezahlt?
Die Kosten für Genehmigung, Gutachten und Baumarbeiten betrugen rund 60000 Euro und wurden vom Hauptverein übernommen. Dazu kommen jährliche Baumpflege-Kosten von 5000 bis 10000 Euro, abhängig von Stürmen oder Dürreperioden. Es gab Einmalzuschüsse der Stadt sowie eine große Spendenaktion der Mountainbiker. Damit konnten insgesamt 25000 Euro wieder reingeholt werden. Unterm Strich sind das natürlich enorme Summen für einen 1,5 Kilometer langen Mountainbiketrail.
"Der Verein gibt uns Sicherheit"
Wie profitiert ihr heute vom Verein?
Der Verein gibt uns Sicherheit und Freiheit beim Betrieb der Strecke, außerdem unterstützt er uns bei Problemen.
Und wie profitiert der Verein - abgesehen vom deutlichen Mitgliederzuwachs - von euch?
Wir bieten für eine angesagte Sportart unsere Trainingsstrecke sowie Fahrtechnik-Kurse an. Gleichzeitig ist unser Social-Media-Kanal viel gefragt und dient als Anlaufstelle, gerade auch bei Jüngeren.
Wie seid ihr integriert? Gibt es gemeinsame Aktivitäten im Verein?
Wir helfen bei Festen und Vereinsaktionen. Für Vereinsmitglieder gibt es Kurse und Merchandise zu vergünstigten Konditionen. Bei einem offenen Radtag konnten Mitglieder bei uns ihre Räder checken lassen und Tagestouren in verschiedenen Härtegraden mitfahren.
Ist eure Strecke allen Mountainbikern zugänglich oder ist die Nutzung nur für Mitglieder möglich?
Jeder Radfahrer mit Helm darf unsere Strecke zu den Öffnungszeiten nutzen. Wir wollen, dürfen und können hierzu keine Zugangskontrolle oder Einzäunung ausführen. Man kann das vermutlich mit einem Wanderverein und seinen Wanderwegen vergleichen.
Wie sieht die Verantwortung des TVH als Betreiber der Strecke aus? Ist er haftbar bei Unfällen?
Wir tragen als Betreiber der Strecke die volle Haftung und mussten die Stadt vertraglich dazu entlasten. Bei Unfällen greift unsere Streckenhaftpflichversicherung. Hierfür wurden die Strecke und ihre Elemente von der Versicherung abgenommen und wir sorgen mit wöchentlichen Kontrollen dafür, dass nichts verändert wird.
"Als soziales Netzwerk sind Vereine unersetzlich"
Ihr habt euren Traum von einer neuen Strecke mithilfe eines Vereins verwirklicht. Wie schätzt du ganz allgemein die Bedeutung der Vereine für die Gesellschaft ein?
Als soziales Netzwerk und – wie ein unserem Fall – als Verantwortungsträger bei Bauvorhaben sind Vereine unersetzlich.
Wie schätzt du die Zukunft der Vereine ein?
Vereine mit gesunder Struktur und aktuellen, modernen Angeboten werden weiter wachsen. Vermutlich wird die richtige Mischung aus traditionellen Werten und stetiger Erneuerung entscheidend sein.
"Wer nicht konsequent nach vorne schaut, wird von Hindernissen schneller überrascht"
In unserem Workbook wird der TV Hegensberg mit seiner Radsportabteilung als positives Beispiel genannt. Habt ihr euch mit dem Workbook und den Megatrends der Zukunft auseinandergesetzt?
Wir haben uns sehr über die Nennung im Workbook gefreut. Passenderweise wurde unserem Hauptverein bei der 125-Jahr-Feier ein Exemplar geschenkt. Es ist natürlich schwer, die Zukunft richtig einzuschätzen und für die eigenen Gegebenheiten zu bewerten. Wir finden es notwendig, sich als Verein mit den nächsten zehn Jahren zu beschäftigen und machen uns auch Gedanken zu unserer Entwicklung. Grundsätzlich gelten hier die gleichen Regeln wie beim Mountainbiken: Wer nicht konsequent nach vorne schaut, wird von Hindernissen schneller überrascht.
Alle Infos zur EsNos findest du hier.
Hier gehts zur Vereinshomepage des TV Hegensberg.